MieterEcho 323/August 2007: Erklärung der MieterEcho-Redaktion zur Verhaftung von Andrej Holm

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MieterEcho 323/August 2007

Quadrat IN EIGENER SACHE

Erklärung der MieterEcho-Redaktion zur Verhaftung von Andrej Holm

Nach Redaktionsschluss erfuhr die MieterEcho-Redaktion, dass am 01.08.2007 gegen Andrej Holm Haftbefehl erlassen wurde.

Andrej Holm wird vorgeworfen, Mitglied der sog. "militanten gruppe" (mg) zu sein. Bei dieser Gruppe - in der Presse als "bislang wenig bekannt" beschrieben - soll es sich um "Feierabendterroristen" mit verschwörungstheoretischer Argumentation handeln, die durch das Anzünden einiger Kraftfahrzeuge "die gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zugunsten einer kommunistischen Weltordnung zu beseitigen" gedenke.

Andrej Holm, dem keine Brandstiftung vorgeworfen wird, habe, so die Bundesanwaltschaft, "umfassende konspirative Kontakte" - konkret: zwei Begegnungen in diesem Jahr - mit einem der mutmaßlichen Brandstifter gehabt und verwende "Schlagwörter und Phrasen", die auch in den Texten der mg zu finden seien.

Andrej Holm gehört seit vielen Jahren zur Redaktion des MieterEcho, der Zeitschrift der Berliner MieterGemeinschaft, in der er regelmäßig Beiträge veröffentlicht. Er bedient sich dabei der Sprache, die auch die internationale Gemeinschaft der Sozialwissenschaftler verwendet. Dieser Wissenschaftsgemeinschaft muss Dr. Andrej Holm u. a. als Mitglied von INURA, einem renommierten internationalen Verbund von Stadtsoziologen, zugerechnet werden. Seine Forschungsschwerpunkte waren Stadterneuerung in Ostberlin und die Auswirkungen der Privatisierung öffentlicher Wohnungsbauunternehmen. Seit einiger Zeit beschäftigt er sich mit Analysen des Berliner Wohnungsmarkts insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Wohnungsversorgung für ALG-II-Beziehende. Für die Berliner MieterGemeinschaft erarbeitet er z. Zt. einen Überblick über die Struktur des europäischen Mietwohnungsbestands.

Andrej Holm ist einer der wenigen unabhängigen kritischen Wissenschaftler, die ihre wissenschaftliche Arbeit nicht von praktischem zivilgesellschaftlichem Engagement trennen.

Die Ergebnisse seiner Arbeit stellt er regelmäßig den Betroffenen zur Verfügung, so erst unlängst den gewerkschaftlichen Erwerbslosengruppen in einer Veranstaltung im DGB-Haus, zu der der Erwerbslosenausschuss von ver.di eingeladen hatte.

Andrej Holm war in den 90er Jahren in der Betroffenenvertretung des Sanierungsgebiets Helmholtzplatz aktiv und ist immer noch Teil einer Bürgerschaft, die sich nach der Wende insbesondere im Prenzlauer Berg ein hochentwickeltes politisches Bewusstsein erworben hat. Diesem gesellschaftlichen Milieu entstammen viele Personen, die inzwischen über den engen bezirklichen Rahmen hinaus politische Verantwortung in dieser Stadt übertragen bekommen haben.

Die Verhaftung von Andrej Holm ist ein Angriff auf eine Wissenschaft, die sich der aktuellen Instrumentalisierung im Sinne neoliberaler Verwertungsprozesse entzieht und sie ist darüber hinaus ein Angriff auf eine kritische Zivilgesellschaft, zu der auch die Berliner MieterGemeinschaft gehört. Die Verhaftung von Andrej Holm lässt die Deformationen erkennen, die einer Gesellschaft durch eine radikale Politik drohen, wie sie der derzeitige Innenminister Schäuble durchsetzen möchte.

Joachim Oellerich, MieterEcho

Weitere Informationen unter: http://einstellung.so36.net

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